Mit sieben Weltrekorden im Rückwärtslauf und 45 Treppenlauftiteln im Gepäck kann man sagen, dass Thomas Dold Siege der ungewöhnlicheren Art verfolgt. In einem Interview mit Continental GripWorld spricht er darüber, warum jeder Athlet gelegentlich rückwärts laufen sollte, was das Besondere am Treppenlauf ist und seine Verbindung zur deutschen Fernsehlegende Thomas Gottschalk.
Thomas, danke, dass du dir die Zeit genommen hast, uns so kurzfristig anzurufen. Du bist gerade im Zug?
Das ist richtig - ich bin auf dem Weg zu einem Training in Frankfurt. Ich habe eine Sondergenehmigung, um im Main Tower zu laufen, dem höchsten Wolkenkratzer Deutschlands - er ist rund 200 Meter hoch. Das Treppenhaus des Turms ist ideal für das Training. Es ist meine Lieblingstreppe - 52 Stockwerke und tausend Stufen, die ich tausende Male hochgelaufen bin.
Du lebst auf dem Land. Es muss hart sein da draußen mit so wenigen Hochhäusern.....
Ja, das könnte man so sagen (lacht). Wenn ich in einer Großstadt leben würde, wäre es definitiv besser für das Training und würde viele Dinge erleichtern. Es gibt aber eine längere Treppe in der Nähe meines Wohnortes, auf einem Weinberg. Es sind 90 Meter bis zur Spitze und der Weg dorthin ist auch ein ziemliches Training! Aber klar ist, dass man für den Treppenlauf nur auf richtigen Treppen in einem Gebäude trainieren kann. Die Treppen dort sind steiler, länger und höher. Der Punkt ist nämlich, dass du deine Laufschuhe anziehst und schauen willst, wie viele Etagen du in deinem Renntempo bewältigen kannst. Und um das zu tun, brauche ich eine Treppe wie die im Main Tower.
Du hältst sieben Weltrekorde im Rückwärtslaufen und hast 45 Siege im Treppenlauf erzielt. Was um alles in der Welt hat dich dazu getrieben, dich für diese beiden Disziplinen zu entscheiden?
Ich bin in den Vorbergen des Schwarzwaldes aufgewachsen. Und im Schwarzwald haben wir Berge. Da begann ich also zu laufen. Im Jahr 2003 versuchte ich zum ersten Mal rückwärts zu laufen und ich war sofort begeistert. Was das Treppenlaufen betrifft, so ist es kein großer Sprung vom Bergauflaufen zum Treppenlaufen. Das ist einfach passiert. Ich war 18 Jahre alt und habe nach neuen Herausforderungen gesucht.
Hilf uns zu verstehen, wie ein Treppenlaufrennen aussieht. Ist es nicht ein bisschen klaustrophobisch, mit Dutzenden anderer Läufer eine schmale Treppe hinaufzulaufen?
Die meisten Treppenhäuser sind in der Tat ein wenig eng, zumindest für die Durchführung eines Rennens. Es gibt nie wirklich genug Platz für zwei Personen, um nebeneinander zu laufen. In New York, wo ich die meisten Rennen gewonnen habe, sind es tatsächlich 100 Personen, die gleichzeitig auf die ersten Stufen zulaufen. Und um erstmal ins Treppenhaus zu gelangen, müssen sie alle durch die gleiche Tür laufen - die auch nur eine normale, mittelgroße Tür ist. Also gibt es natürlich einen Engpass, jeder drückt sich nacheinander durch, wie durch ein Nadelöhr.
Jedes Treppenhaus ist anders gestaltet. Wie wirkt sich das auf deine Laufstrategie aus? Hast du überhaupt eine?
Am Ende des Tages ist die beste Strategie normalerweise nur der Versuch, so schnell wie möglich an die Spitze zu kommen. Was einen Vorteil verschaffen könnte, ist nicht, wie gut man das Gebäude kennt, sondern wie erfahren man ist.
Wenn du dir jetzt Treppen ansiehst, siehst du sie dann einfach als eine normale Treppe an? Oder wenn du im Urlaub in Paris bist, verspürst du direkt den Drang, den Eiffelturm in Rekordzeit zu besteigen?
Natürlich sehe ich die Treppe anders. Viele Menschen verbinden Treppen mit Anstrengung - ich auch, aber auch mit glücklichen Momenten. Das macht es mir leichter, öfter die Treppe zu nehmen. Ich habe keine mentale Barriere die mich aufhält. Das ist ein Vorteil, den sich jeder aneignen kann. Jeder kann sich entscheiden zu sagen - egal wie viele Stufen es sind - danke, aber ich nehme die Treppe und mache gleich etwas Sport. Außerdem sind die Aufzüge sowieso zu langsam. Bevor man oben ankommt,hält man vorher noch in jedem Stockwerk. Bis dahin bin ich bereits mit der Treppe schon oben angekommen und ich habe gleichzeitig etwas Sport getrieben.
Aber ich persönlich habe auch nicht immer das Gefühl, dass ich jede Treppe hochlaufen muss. Ich hätte auch kein Problem damit, die Treppe des Eifelturms in einem gemächlichem Tempo hinaufzugehen.
Lass uns darüber reden, rückwärts zu laufen. Du bist ohne Vorbereitung dein erstes Rennen bei den deutschen Meisterschaften gelaufen - und hast gewonnen. Wie ist das überhaupt möglich?
Es war irgendwie spontan. Ich hatte nur einmal trainiert, um zu sehen, wie rückwärts laufen überhaupt funktioniert. Und dann bin ich erst in der Kategorie "Frauen und Kinder" ins Rennen gegangen. Ich war wirklich schnell und überquerte die Ziellinie in nur 4:07 Minuten.
In der Regel ist der Sieger des Pro Race auch der Gesamtsieger. Aber der Profi-Läufer war sechs Sekunden langsamer. Auch die Rennleitung konnte es nicht glauben - dass einer der Amateure so schnell gelaufen ist. Und plötzlich war ich Deutscher Meister. Aber damals konnte man noch mit Zeiten gewinnen, mit denen man heute keine Chance mehr hat. Heutzutage laufe ich jeden einzelnen Kilometer eines zehn Kilometer-Rennens mit einem durchschnittlichen Tempo, das 20 Sekunden schneller ist. Meine Weltrekordzeit für einen Kilometer beträgt 3 Minuten 18 Sekunden.
Wenn du rückwärts rennst, stößt du nicht ständig auf Dinge - oder andere Läufer? Und bekommst du nicht einen steifen Nacken, wenn du die ganze Zeit über deine Schulter schaust?
Nein - ich bekomme keinen steifen Nacken, weil ich nicht hinter mich schaue. Ich habe jemanden auf einem Fahrrad, der mich führt. Ich kann ihn sehen, und er kann sehen, was hinter meinem Rücken passiert. Also sagt er mir, ob ich auf etwas stoße. Das macht es natürlich mental herausfordernd. Man muss seinem Partner völlig vertrauen, er dient sozusagen als meine Augen. Und vor allem muss man sich selbst vertrauen. Rückwärts laufen ist eine gute Möglichkeit, Selbstvertrauen aufzubauen.
Wie reagieren die Leute, wenn du sagst, dass du lieber rückwärts läufst?
Viele Leute finden die Idee, rückwärts zu laufen, ziemlich lustig. Aber wenn ich jemandem, dessen Hobby das Laufen ist, sage, dass meine zehn Kilometerzeit 38:50 Minuten beträgt, sind sie ziemlich erstaunt, denn meine Rückwärtszeit schlägt ihre Vorwärtszeit! Ich trainiere schließlich viel und es liegt mir im Blut, neue Dinge ausprobieren zu wollen. Rückwärtslaufen ist keine weit verbreitete Sportart. Es gibt keine dutzende Bücher darüber, also musst du es selber herausfinden. Du bist der Einzige, der deine Leistung verbessern kann. Das ist auch ein nützliches Hilfsmittel bei der Arbeit, besonders wenn man in einer Führungsrolle ist. Rückwärtslaufen kann tatsächlich helfen, Führungsqualitäten zu entwickeln, die man benötigt.
Du hast einmal gesagt, dass es nur dann möglich ist Spitzenleistungen zu erbringen, wenn man das innere Gleichgewicht erreicht hat, wenn also Körper und Geist im Gleichgewicht sind. Wie erreicht man dieses Gleichgewicht?
Das Gleichgewicht spielt wirklich eine wichtige Rolle. Rückwärts- und Treppenlauf sind für den Körper sehr wichtig. Das Treppenlaufen ist extrem gut, um Kraft im Oberkörper und in den Beinen aufzubauen. Und das Rückwärtslaufen ist eine großartige Alternative für das Training des Rückens - was wiederum einen Vorteil bringt, wenn man vorwärts läuft. Ich kann es allen Athleten wirklich empfehlen. Um ein mentales Gleichgewicht zu erreichen, musst du wahrscheinlich ein wenig mehr tun, als nur Treppen und rückwärts zu rennen. Wichtig sind hier Selbstreflexion, Sinn für Humor und eine positive Lebenseinstellung. Das gibt die nötige Widerstandsfähigkeit, um auch mit Rückschlägen fertig zu werden.
Viele Athleten sind darauf fixiert, Rekorde zu brechen, und sie sind nicht die Einzigen. Warum sind die Menschen so besessen davon, die Besten zu sein?
Ich denke, dass das ein grundlegender menschlicher Drang ist. Wenn wir nicht getrieben wären, uns weiter zu verbessern, würde unsere Zivilisation heute ganz anders aussehen - wir würden uns wahrscheinlich immer noch auf allen Vieren bewegen.
Aber zum Glück erkannte irgendwann jemand, dass Gehen besser ist als Krabbeln. Dieser Drang, immer besser zu werden, ist etwas, das man vor allem bei Kindern sieht. Ich denke oft, dass einige Erwachsene diesen Drang irgendwo auf dem Weg verloren haben. Bei vielen Laufveranstaltungen habe ich festgestellt, dass jeder Teilnehmer eine Medaille bekommt, Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Das ist natürlich toll, wenn jeder seine Medaille und sein Zertifikat hat. Wenn dagegen nur die Erst-, Zweit- und Drittplatzierten eine Medaille erhalten, werden diese Medaillen ja auch höher bewertet. Das Streben, etwas Besonderes zu erreichen und dafür belohnt zu werden, ist etwas, das alle Menschen teilen. Und die Fähigkeit, sich ständig zu verbessern, ist äußerst nützlich, nicht nur im Sport, sondern in allen Bereichen des Lebens.
Im Jahr 2008 hattest du ein sehr ungewöhnliches Erlebnis. In der Sendung "Wetten, dass....", moderiert von Thomas Gottschalk, bist du Kopf an Kopf gegen einen urbanen Kletterer angetreten. Rene Gabris erklimmte die Außenseite eines Wolkenkratzers, während du die Treppe im Inneren hinausliefst. Am Ende schlug dein Gegner dich um 3 Sekunden und du musstest dich vor einem Millionenpublikum geschlagen geben.....
Das war meine beste Niederlage aller Zeiten. Es war eine aufregende Erfahrung und es war eine der aufwändigsten Outdoor-Herausforderungen, die die Show je hatte. Mein Gegner erhielt mehr als 56 Prozent der Zuschauerabstimmungen für die beste Wette in der Show und spiegelte damit wider, was für einen spannenden Wettbewerb wir dem Publikum geboten haben. Und schließlich war "Wetten, dass...." kein Sportprogramm, es war eine Varietéshow, und Thomas Gottschalk ist in Deutschland eine Legende. Am Ende des Tages war der Sieg also nicht der wichtigste Aspekt für mich. Für mich persönlich war es wichtiger, als ich in der folgenden Woche ein Rennen in Singapur gewann. Die Fernsehshow hat einfach Spaß gemacht.
Und wann wirst du deinen ersten rückwärtigen Treppenlauf machen?
(Lacht) Ich suche immer noch verzweifelt einen Trainer. Abgesehen davon, dass ein rückwärtiger Treppenlauf anatomisch nicht einmal möglich ist! Zumindest nicht auf einem wettbewerbsfähigen Niveau. Du müsstest auf dem Ballen deines Fußes stehen, während du deine Ferse zum nächsten Schritt hebst. Das wäre Selbstmord mit hoher Geschwindigkeit.